Neue gesetzliche Vorgaben zur Verwendung des Bilanzgewinns oder -verlusts

In den anfangs 2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sind die einzelnen Positionen des Eigenkapitals einer Aktiengesellschaft neu festgelegt worden. Im gleichen Zug wurden neue Regelungen zur Gewinnverwendung und Verlustverrechnung erlassen. Der vorliegende Beitrag geht auf die neuen und zwingenden Verlustverrechnungen ein, die es neu zu beachten gilt.

In früheren Jahren umfasste das Eigenkapital einer juristischen Gesellschaft oftmals nur die folgenden Positionen:

  • Aktienkapital
  • Gesetzliche Reserven
  • Kapitaleinlagereserve
  • Freie statuarische Reserven
  • Bilanzgewinn oder -verlust

Im Falle eines Bilanzverlusts konnte bisher auf den Antrag zur Verwendung des Bilanzverlusts verzichtet werden, da in solchen Fällen in der Regel keine ausschüttbare Substanz vorhanden war.

Gemäss dem seit 1. Januar 2023 geltenden Gesetz werden im Eigenkapital die zum Teil neuen folgenden Positionen ausgewiesen:

  • Grundkapital, gegebenfalls gesondert nach Beteiligungskategorien
  • Gesetzliche Kapitalreserven
  • Gesetzliche Gewinnreserven
  • Eigene Kapitalanteile als Minusposten
  • Freiwilige Gewinnreserven
  • Gewinnvortrag oder Verlustvortrag als Minusposten
  • Jahresgewinn oder Jahresverlust als Minusposten

Die Verwendung des Bilanzgewinns umfasst neben der Ausschüttung aus dem Bilanzgewinn bzw. dem Gewinnvortrag neu sämtliche weitere Kapitalrückführungen (z.B. Dividenden aus freiwilligen Gewinnreserven, Rückzahlungen aus den gesetzlichen Kapitalreserven) ausserhalb der gesetzlichen Kapitalherabsetzungen.

Nebst der Ausschüttung von Gewinnen und Reserven regelt das Gesetz neu auch in Art. 674 OR die Verrechnung von Verlusten. Daraus ergeben sich die folgenden möglichen Fälle:

Neu wird vorgeschrieben, wann ein Antrag des Verwaltungsrats an die Generalversammlung zur Verrechnung der Verluste nach Art. 674 OR zwingend notwendig ist.

In den vorstehend aufgeführten Fällen 1 und 2 wird die Verrechnung mit Verlusten gesetzlich vorgeschrieben. Es ist kein Generalversammlungsbeschluss notwendig, weshalb auch kein Antrag an die Generalversammlung erforderlich ist.

Die Verbuchung der gesetzlich erforderlichen Verrechnung darf allerdings erst im Folgejahr erfolgen, da gemäss Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3g OR der Jahresverlust als Minusposten des Eigenkapitals im Jahresabschluss auszuweisen ist.

Zudem muss diese Jahresrechnung, und somit das Jahresergebnis, von der Generalversammlung genehmigt werden (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 4 OR), bevor eine Verrechnung stattfinden kann.

Bei Sachverhalten 3 bis 5 liegt es in der Kompetenz der Generalversammlung, den Vortrag auf neue Rechnung anstelle einer Verrechnung mit den gesetzlichen Reserven zu beschliessen. Entsprechend muss der Verwaltungsrat der Generalversammlung die Verrechnung gemäss den Fällen 3 und 4 resp. den Vortrag auf neue Rechnung in Fall 5 beantragen. Der dazugehörige Antrag des Verwaltungsrats an die Generalversammlung ist zu prüfen.

Die nachfolgenden Gewinnverwendungsdarstellungen sind illustrative Beispiele, decken nicht jeden möglichen Fall ab. Die Gewinnverwendung resp. Verlustverrechnung richtet sich nach den Art. 672 bis 674 OR.

Unter der gesetzlichen Gewinnreserve ist in diesen illustrativen Beispielen die gesetzliche Gewinnreserve im engeren Sinne gemeint. Eine Verrechnung von Verlusten mit der Aufwertungsreserve und der Reserve für eigene Kapitalanteile im Konzern, die beide zu den gesetzlichen Gewinnreserven im weiteren Sinne zählen, ist nicht erlaubt.

Es können weitere Bestimmungen relevant sein wie z.B. die (steuerliche) Bedingung für eine an einer Schweizer Börse kotierten Kapitalgesellschaft, bei der Rückzahlung von Reserven aus Kapitaleinlagen mindestens im gleichen Umfang übrige Reserven auszuschütten (Art. 5 Abs. 1ter VStG).

1. Zwingende Verlustverrechnung gemäss Art. 674 OR

In diesem Fall erfolgt kein Gewinnverwendungsvorschlag gemäss Art. 674 Abs. 1 OR, da der Bilanzverlust von -135 automatisch und von Gesetzes wegen direkt mit der freien Gewinnreserve verrechnet wird.

2. Teilweise zwingende Verlustverrechnung gemäss Art. 674 OR

Der Antrag des Verwaltungsrats zur Verlustverrechnung und zum Vortrag des Bilanzverlusts auf neue Rechnung lautet wie folgt:

In Variante 2 wird in der vorgeschlagenen Darstellung explizit darauf hingewiesen, dass keine Verrechnung des Bilanzverlusts mit den bestehenden Reserven erfolgen soll. Diese Darstellung ist nicht zwingend, kann aber zur Klärung von allfälligen Diskussionen über die Gewinnverwendung bzw. des Vortrags des Bilanzverlusts dienen.

3. Verlustverrechnung mit Gewinn- und Kapitalreserven

Bei dieser Ausgangslage ist der Bilanzverlust in der folgenden Reihenfolge mit den Reserven zu verrechnen (Achtung: die Reihenfolge der Auflösung ist strikte einzuhalten):

In solchen Fällen empfiehlt es sich zu prüfen, ob gestützt auf Art. 674 Abs. 2 OR anstelle der Verrechnung mit der gesetzlichen Kapitalreserve der verbleibende Verlust nicht eher auf die neue Jahresrechnung vorgetragen werden soll, damit der steuerliche Vorteil resp. die Möglichkeit für die spätere Rückzahlung der gesetzlichen Kapitalreserve erhalten bleibt.

4. Dividendenzahlung nach vorgängiger Verlustverrechnung

In diesem Fall ist trotz erzieltem Jahresverlust geplant, eine Dividende von 10 % auszuschütten. Der Antrag zur Verlustverrechnung mit anschliessender Gewinnausschüttung ist demnach wie folgt darzustellen:

Nach Verrechnung des Bilanzverlusts und Teilauflösung für die Ausschüttung einer Dividende beträgt die freiwillige Gewinnreserve noch 55.

Fazit

Die Bestimmungen zur Verwendung des Bilanzgewinns und -verlusts wurden ab diesem Jahr verschärft. Der Verwaltungsrat ist auch im Falle eines Bilanzverlusts gehalten, einen Antrag über dessen Verwendung der Generalversammlung zu stellen.

Bei grösseren Verlusten ist die Reihenfolge der vollständigen oder teilweisen Auflösung von Gewinn- und Kapitalreserven vorgeschrieben und einzuhalten. Der Beschluss zur Auflösung von Reserven und somit mit der Verrechnung eines Bilanzverlusts kann weiterhin nur von der Generalversammlung getroffen werden.

 

Autoren

Thomas Fankhauser
dipl. Treuhandexperte

Vincent Studer
dipl. Wirtschaftsprüfer

Lesezeit: 10 Min 28. August 2023