Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil (BGer 9C_610/2022 vom 7. September 2023) entschieden, dass der Sanierungsfreibetrag auf Zuschüssen bis CHF 10 Mio. nur beansprucht werden kann, wenn die Verluste effektiv ausgebucht werden. Somit wird die Praxis der ESTV bezüglich Sanierungen bestätigt und Kapitalgesellschaften müssen sich auch zukünftig entscheiden, ob sie Kapitaleinlagereserven (KER) bevorzugen und dafür die Emissionsabgabe entrichten, oder ob sie auf die KER verzichten wollen und dafür die Emissionsabgabe nicht bezahlen müssen.
Wenn einer Kapitalgesellschaft Eigenkapital zugeführt wird, ist diese grundsätzlich verpflichtet, auf dem Zuschuss die Emissionsabgabe von 1 % des Zuschusses zu entrichten. Von diesem Grundsatz gibt es einige Ausnahmen.
Wenn beispielsweise eine Gesellschaft aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten Verluste erzielt und ein negatives Eigenkapital hat, so ist der Verwaltungsrat in der Pflicht, Sanierungsmassnahmen zu ergreifen. Diese bestehen oft in der Zuführung von neuem Eigenkapital oder der Umwandlung von Schulden gegenüber dem Aktionär in Eigenkapital (Forderungsverzicht des Aktionärs). Ein solcher Vorgang führt aber zu einer Erhöhung des Eigenkapitals und unterliegt somit grundsätzlich der Emissionsabgabe.
Das Stempelgesetz sieht nun aber in Art. 6 Abs. 1 Bst. k vor, dass Zuschüsse bei offenen oder stillen Sanierungen von der Emissionsabgabe ausgenommen sind, «soweit bestehende Verluste beseitigt werden, und die Leistungen der Gesellschafter […] gesamthaft 10 Millionen nicht übersteigen».
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hatte seit Einführung dieser Gesetzesbestimmung im Jahr 2009 die Praxis angewendet, dass die bestehenden Verlustvorträge, die zur Unterbilanz oder Überschuldung führten, effektiv ausgebucht werden müssen, um diese Sanierungsfreigrenze in Anspruch nehmen zu können.
Im nun vorliegenden Entscheid hält das Bundesgericht fest, dass die Praxis der ESTV korrekt sei. Die Worte «Verluste beseitigen» beinhalteten die Erwartung des Gesetzgebers, dass der Verlustvortrag auch tatsächlich ausgebucht werde; andernfalls bliebe die Bedingung sinnlos.
Folgendes Beispiel soll dem besseren Verständnis dienen:
Die Bilanz der Pleite AG sieht vor der Sanierung durch den Aktionär wie folgt aus:
Um die Gesellschaft zu sanieren und das Aktienkapital wieder herzustellen, verzichtet der Aktionär auf dieses Guthaben. Die Gesellschaft bucht den Forderungsverzicht, da eine Einlage des Aktionärs, in die KER:
In diesem Falle kann die Gesellschaft in Zukunft von den Vorteilen einer Dividendenauszahlung aus KER (einkommenssteuerfreie Dividende bei inländischen natürlichen Personen als Empfängern, kein Verrechnungssteuerabzug auf der Dividende) profitieren, dafür muss sie unmittelbar die Emissionsabgabe von CHF 5’000 entrichten. Diese Verbuchungsvariante ist somit interessant, wenn inländische oder ausländische natürliche Personen Aktionärinnen oder Aktionäre der Gesellschaft sind.
Gemäss dem aktuellen Urteil des Bundesgerichts soll der Forderungsverzicht aber wie folgt verbucht werden, um von der Sanierungsfreigrenze zu profitieren:
In diesem Falle muss die Gesellschaft keine Emissionsabgabe bezahlen, kann aber auch nicht von allfälligen KER profitieren. Wenn die Pleite AG eine inländische juristische Person als Aktionärin hat, dürfte sie sich wohl regelmässig für diese Verbuchungsweise entscheiden, da einer solchen Aktionärin KER keinen Nutzen bringen.
Handelsrechtliche Zulässigkeit?
Bei der direkten Ausbuchung des Verlustvortrages im Zeitpunkt des Zuschusses stellt sich zudem u.E. auch die handelsrechtliche Frage, ob eine solche Verbuchungsweise handelsrechtlich überhaupt zulässig ist. Man könnte auch die Ansicht vertreten, dass Einlagen von Aktionären in einem ersten Schritt in die gesetzlichen Kapitalreserven gebucht werden müssen (gestützt auf das Handbuch für Wirtschaftsprüfer HWP-Ausgabe 2023, Band «Buchführung und Rechnungslegung»; Rz. 572 f.) und dann die Verlustvorträge erst im Folgejahr mit dem Beschluss der Generalversammlung beseitigt werden können. Das Bundesgericht scheint der Auffassung zu sein, dass die Verluste direkt beim Zuschuss ausgebucht werden können, hält es doch in Erwägung 3.4.2 fest: «Wie in der Literatur zutreffend vorgebracht wird, obliegt es daher den Organen der Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft, “zwischen Emissionsabgabeersparnis einerseits und Bildung von Reserven aus Kapitaleinlagen anderseits” zu entscheiden (Oesterhelt/Schreiber, a.a.O., 452). Diesen Entscheid haben sie spätestens zu treffen, sobald die Kapitaleinlage erfolgt und diese in der einen oder anderen Weise zu verbuchen ist.»
Diskrepanz zum «Erlass» der Emissionsabgabe gemäss Art. 12 StG
Im angefochtenen Entscheid war das Bundesverwaltungsgericht Vorinstanz. Dieses urteilte neben dem hier beschriebenen Sachverhalt des Sanierungsfreibetrages von CHF 10 Mio. zusätzlich auch über den Erlass der Emissionsabgabe nach Art. 12 StG, da im konkreten Fall der Sanierungszuschuss deutlich höher war als CHF 10 Mio. Betreffend den Erlass der Emissionsabgabe entschied das Bundesverwaltungsgericht aus prozessualen Gründen als letzte Instanz. Es entschied somit endgültig, dass für den Erlass der Emissionsabgabe keine Verlustausbuchung notwendig ist, während das Bundesgericht nun betreffend die Sanierungsfreigrenze von CHF 10 Mio. festgehalten hat, dass die Verluste definitiv ausgebucht werden müssen.
Es gilt also, sich bei Sanierungsleistungen genau zu überlegen, wie man diese verbucht. Für das Bundesgericht gilt betreffend die Verbuchung offenbar die Devise «So wie man sich bettet, liegt man.».
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