Mit dem Entscheid der Bundesversammlung vom 19. Juni 2020 sowie der am 8. Oktober 2020 ungenutzt abgelaufenen Referendumsfrist endete ein langjähriger politischer Prozess rund um die komplette Revision des Aktienrechtes und die Änderungen weiterer Bestimmungen des Obligationenrechtes (OR). Seither wurden bereits Teile davon in Kraft gesetzt. So beispielsweise die Bestimmungen zu den Geschlechterrichtwerten per 1. Januar 2021 bei Publikumsgesellschaften (Pflicht zur Begründung, wenn nicht beide Geschlechter mit mindestens 30 % im Verwaltungsrat und 20 % in der Geschäftsleitung vertreten sind). Die restlichen Änderungen sollen en bloc in Kraft treten. Aufgrund der Flexibilisierung der Gründungs- und Kapitalvorschriften wird auch eine Anpassung der Handelsregisterverordnung nötig. Dies hat zur Folge, dass mit der Einführung der restlichen revidierten Aktienrechtsbestimmungen nicht vor 2023 zu rechnen ist.
Wichtigste Änderungen
Bei der Revision wird ein Grossteil der Artikel des 26. Titels des Obligationenrechts – Die Aktiengesellschaft – geändert. Stichwortartig können die folgenden wesentlichen Änderungen und Neuerungen genannt werden:
- das Aktienkapital kann neu auch in ausländischer Währung liberiert werden;
- Möglichkeit zur Einführung eines Kapitalbandes, das +/- die Hälfte des eingetragenen Aktienkapitals umfasst. Damit hat der Verwaltungsrat mehr Flexibilität und Kompetenzen;
- die Verwendungsmöglichkeiten der Eigenkapitalkomponenten werden zum Teil neu geregelt. Beispielsweise wird die Reservezuweisung anders gehandhabt (und die Einteilung erfolgt analog dem Rechnungslegungsrecht);
- neue Schwellenwerte bei den Mitwirkungs- und Kontrollrechten der Aktionäre;
- neue Durchführungsmöglichkeiten der Generalversammlungen: Abhaltung einer virtuellen Generalversammlung oder die Durchführung im Ausland resp. an verschiedenen Orten;
- Möglichkeit zur Zwischendividende: Dividenden können neu auch aus Gewinnen des laufenden Geschäftsjahres ausgeschüttet werden (sog. Interimsdividenden);
- neue Pflichten des Verwaltungsrates im Zusammenhang mit drohender Zahlungsunfähigkeit, Kapitalverlust und Überschuldung.
Die beiden letzten Punkte stellen komplette Neuerungen dar und werden nachfolgend weiter erläutert.
Interimsdividende – Zwischendividende
Stark ins Gewicht fallen dürfte die Einführung von Art. 675a OR, der die Ausschüttung von Zwischendividenden, auch Interimsdividenden genannt, regelt. Mit diesen Zwischendividenden können neu auch Gewinne aus dem laufenden Geschäftsjahr an die Aktionäre ausbezahlt werden. Dies dürfte vor allem dort zum Zuge kommen, wo unterjährig ausserordentliche Gewinne realisiert werden, beispielsweise bei einem Immobilien- oder Beteiligungsverkauf. Die Ausschüttung einer solchen Interimsdividende ist jedoch an folgende Bedingungen geknüpft:
- es liegt ein geprüfter Zwischenabschluss vor;
- Voraussetzungen für eine Dividendenausschüttung sind erfüllt.
Prüfung des Zwischenabschlusses
Der Ausschüttungsbeschluss der Generalversammlung muss grundsätzlich auf einem geprüften Zwischenabschluss basieren. Auf die Prüfung kann verzichtet werden, wenn ausnahmslos alle Aktionäre der Zwischendividende zustimmen und die Forderungen der Gläubiger dadurch nicht gefährdet sind oder wenn die Gesellschaft aufgrund eines Opting-Outs keine Revisionsstelle hat.
Voraussetzungen für eine Dividendenausschüttung sind erfüllt
Aufgrund des Gläubigerschutzes bedarf es auch beim Verzicht der Prüfung des Zwischenabschlusses immer noch einer Prüfung des Gewinnverwendungsantrages. Dabei wird normalerweise die Existenz der Gewinne, die Statutenkonformität der Ausschüttung, die Reservezuweisung sowie die Existenz von genügend freien liquiden Mitteln geprüft. In klaren Verhältnissen mit ausreichend flüssigen Mitteln und einer soliden Eigenkapitalbasis wird die Prüfung des Gewinnverwendungsantrages ohne die Erstellung eines Zwischenabschlusses möglich sein. In jenen Fällen, in denen die Liquidität oder die Kapitalbasis nicht komfortabel sind, wird es auch für die Prüfung des Gewinnverwendungsvorschlages einen Zwischenabschluss brauchen. Schliesslich wird sich der Prüfer zudem ein Bild darüber machen müssen, ob der Geschäftsgang bis zum Jahresende derart verlaufen wird, dass auch am Ende des Geschäftsjahres immer noch ein Gewinn resultiert.
Form des Zwischenabschlusses
Die Form des zu erstellenden Zwischenabschlusses ist im neuen Art. 960f OR geregelt. Im Gegensatz zur unter dem heutigen Recht bekannten Zwischenbilanz enthält er zudem eine Erfolgsrechnung und einen Anhang. Der Zwischenabschluss ist nach den geläufigen Vorschriften zur Jahresrechnung zu erstellen. Im selben Artikel werden jedoch Vereinfachungen und Verkürzungen zugelassen, insofern hierdurch keine Beeinträchtigungen der Darstellung des Geschäftsgangs entstehen. Die angewendeten Vereinfachungen und Verkürzungen müssen zusammen mit dem Zweck des Zwischenabschlusses im Anhang ausgeführt werden.
Fazit
Die Einführung der Interimsdividende bringt zwar neue Möglichkeiten zur Gewinnausschüttung, jedoch sind diese mit einem gewissen Mehraufwand für die ausschüttende Gesellschaft (Prüfpflichten) verbunden. Es ist entsprechend unklar, wie häufig die Gesellschaften von diesem Instrument Gebrauch machen werden. Sollte eine solide Eigenkapitalbasis mit frei verfügbaren Reserven bestehen, dürfte eine ausserordentliche Dividende aus den freien Reserven oder dem Gewinnvortrag wohl die bessere Option bleiben.
Drohende Illiquidität – Verwaltungsrat neu gefordert
Grosse Änderungen haben die Bestimmungen zur Unternehmenssanierung erfahren (Art. 725ff OR). Der Verwaltungsrat ist hier stärker gefordert als zuvor und hat neu die folgenden ausdrücklichen gesetzlichen Pflichten:
- Überwachung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft;
- Ergreifung von Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit resp. der Liquidität bei drohender Zahlungsunfähigkeit;
- Treffen von weiteren Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft und/oder Beantragung solcher Massnahmen zu Handen der Generalversammlung soweit sie in deren Zuständigkeit fallen;
- nötigenfalls die Einreichung eines Gesuches um Nachlassstundung;
- Handeln mit der gebotenen Eile.
Klärung der gesetzlichen Vorgaben mit Erleichterungen für die Praxis bei Vorliegen einer Überschuldung
Wie bisher muss beim Vorliegen der begründeten Besorgnis der Überschuldung je ein Zwischenabschluss zu Fortführungs- und Veräusserungswerten erstellt und geprüft werden. Sollte jedoch bereits vor der Erstellung klar sein, dass die Annahme der Fortführung nicht besteht, kann auf den Zwischenabschluss zu Fortführungswerten verzichtet werden. Sollte die Annahme der Fortführung bestehen und der Zwischenabschluss zu Fortführungswerten keine Überschuldung zeigen, kann auf die Erstellung des Zwischenabschlusses zu Veräusserungswerten verzichtet werden.
Wie bisher können Rangrücktritte die Benachrichtigung des Richters verhindern. Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR definiert hier nun neu, dass der Rangrücktritt nicht nur den geschuldeten Betrag, sondern auch allfällige Zinsforderungen umfassen muss. Dies klärt eine offene Frage des bisherigen Gesetzes.
Die Ziffer 2 desselben Artikels besagt, dass neu auch auf eine Richterbenachrichtigung verzichtet werden kann, wenn «begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann und, dass die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden».
Bei einem Kapitalverlust müssen Gesellschaften ohne Revisionsstelle (Opting-Out) einen zugelassenen Revisor bestellen, der die letzte Jahresrechnung prüft. Der Verwaltungsrat ernennt dabei den zugelassenen Revisor. Die Revisionspflicht entfällt, wenn der Verwaltungsrat ein Gesuch um Nachlassstundung einreicht.
Fazit
Die bereits bis anhin in der Praxis dem Verwaltungsrat zugewiesenen Pflichten sind nun formell gesetzlich geregelt. In der Praxis wird der Gang zum Richter durch einen Rangrücktritt bereits heute in vielen Fällen verhindert. Das neue Gesetz regelt nun klar, dass auch die Zinsen vom Rangrücktritt erfasst werden müssen.
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13. Dezember 2021