MWST-Zoom Dienstleistungsort bei hybriden Veranstaltungen – Neuregelung im MWSTG seit 2025

Rechtslage seit 2025

Seit dem 1. Januar 2025 setzt die Anwendung des Tätigkeitsortsprinzips gemäss Art. 8 Abs. 2 Bst. c MWSTG ausdrücklich die unmittelbare physische Anwesenheit der leistungsempfangenden Personen vor Ort voraus. Dieses Prinzip gilt für Dienstleistungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sportes, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlichen Leistungen, einschliesslich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter.

Im Umkehrschluss – und in Übereinstimmung mit dem Auffangtatbestand nach Art. 8 Abs. 1 MWSTG – richtet sich der Leistungsort für online erbrachte Dienstleistungen seitdem grundsätzlich nach dem Empfängerortsprinzip. Diese Änderung schafft eine klare Systematik in der Abgrenzung zwischen physisch und online erbrachten Leistungen und ist insoweit nachvollziehbar. Damit folgt das Schweizer Mehrwertsteuerrecht zudem der Regelung der EU, die bei gestreamten oder auf andere Weise virtuell erbrachten Veranstaltungen gegenüber Nichtsteuerpflichtigen (B2C) ebenfalls seit dem 1. Januar 2025 zum Empfängerortsprinzip übergegangen ist.

Hybride Leistungsangebote

Doch wie ist bei Dienstleistungen zu verfahren, bei denen sowohl eine physische Anwesenheit vor Ort als auch eine virtuelle Anwesenheit bzw. Teilnahme möglich ist (sog. hybride Leistungsangebote)? Während etwa bei Bildungsleistungen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 11 MWSTG bislang selbst bei hybriden Leistungsangeboten ausschliesslich das Tätigkeitsortsprinzip zur Anwendung gelangte, ist eine solche Handhabung aufgrund der Gesetzesänderung nicht mehr zulässig. Der vorliegende Beitrag soll dabei helfen, die Ortsbestimmung bei hybriden Leistungsangeboten korrekt vorzunehmen.

Verwaltungspraxis der ESTV

Die Praxis der ESTV stützt sich bei der Bestimmung des Leistungsortes hybrider Leistungsangebote auf die Wahl des Leistungsempfängers beim Kauf bzw. Erwerb des Leistungsangebots (vgl. Teil III, Ziff. 2.3 «Tätigkeitsort», MWST-Info 06 «Ort der Leistungserbringung»):

Mit der auf den 1. Januar 2025 in Kraft getretenen Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes MWSTG) wird das Tätigkeitsortsprinzip auf Dienstleistungen beschränkt, die an unmittelbar physisch anwesende Personen erbracht werden. Für online erbrachte Dienstleistungen gilt folgerichtig das Empfängerortsprinzip. Offen bleibt jedoch, wie die Ortsbestimmung bei sogenannten hybriden Dienstleistungen zu erfolgen hat – also bei Angeboten, an denen sowohl physisch vor Ort als auch virtuell teilgenommen werden kann. Diese Fragestellung bildet Gegenstand des vorliegenden Beitrags.

Auf den ersten Blick wirkt diese Praxis einfach und klar. Und sie bleibt es auch, solange die Teilnehmenden nicht wählen können oder müssen und somit ausschliesslich das Empfängerortsprinzip zur Anwendung gelangt. Komplexer wird es jedoch, wenn eine Wahl erfolgt – etwa bei einer mehrtägigen Veranstaltung, an der teils online, teils vor Ort teilgenommen wird. Zur Veranschaulichung modifizieren wir das von der ESTV in der MWST-Info 06 publizierte Beispiel 3 (Weiterbildungsveranstaltung für medizinisches Fachpersonal) wie folgt:

Modifiziertes Praxisbeispiel

(in Anlehnung an Beispiel 3 der ESTV)

Eine Weiterbildungsveranstaltung für medizinisches Fachpersonal dauert drei Tage. Bei der Anmeldung müssen die Teilnehmenden für jeden einzelnen Kurstag angeben, ob sie online oder vor Ort teilnehmen möchten. Auch bei einer Online-Teilnahme bestehen Interaktionsmöglichkeiten. Die Teilnehmeranzahl ist auf 20 Personen beschränkt. Es nehmen Personen mit Wohn- oder Geschäftssitz in der Schweiz und im Ausland teil. Die Veranstaltung findet physisch am Sitz des Veranstalters in Bern statt.

Möchte der Anbieter der Weiterbildungsveranstaltung die Ortsbestimmung gemäss Praxis der ESTV korrekt vornehmen, hat er diese für jeden Kurstag und jeden einzelnen Teilnehmenden separat vorzunehmen. Zur Veranschaulichung betrachten wir zwei fiktive Teilnehmende:

Ergänzung modifiziertes Praxisbeispiel

  • Kursteilnehmer A, mit Geschäfts- und Wohnsitz in Zürich, nimmt am ersten Kurstag physisch vor Ort an der Veranstaltung in Bern teil. An den beiden folgenden Tagen verfolgt er die Veranstaltung online aus Zürich.
  • Kursteilnehmer B, mit Geschäfts- und Wohnsitz in München (Deutschland), ist an den ersten beiden Kurstagen physisch vor Ort in Bern anwesend. Am dritten Tag nimmt er online aus München an der Veranstaltung teil.

Folglich ergibt sich je nach Kursteilnehmer und Kurstag ein unterschiedliches Ergebnis bei der Ortsbestimmung:

Bereits anhand dieser beiden fiktiven Kursteilnehmenden wird deutlich, wie hoch der administrative Aufwand für eine korrekte Ortsbestimmung gemäss der publizierten Praxis der ESTV für die Anbieter ist. Diese ist insbesondere erforderlich, um die MWST korrekt abzurechnen und bei von der Steuer ausgenommenen Leistungen – wie im vorliegenden Fall (Bildungsleistung) – die Option ordnungsgemäss auszuüben bzw. den Vorsteuerabzug richtig geltend zu machen. Es versteht sich von selbst, dass der administrative Aufwand für Anbieter mehrtägiger oder gar mehrjähriger Veranstaltungen mit zahlreichen Teilnehmenden entsprechend hoch ausfällt.

Würdigung der Verwaltungspraxis der ESTV

Der Vorteil der dargestellten Verwaltungspraxis liegt darin, dass dem Leistungsanbieter ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Er kann grundsätzlich steuern, ob er eine solche Wahl überhaupt zulassen und die daraus erforderliche Unterscheidung zwischen Empfängerortsprinzip und Tätigkeitsortsprinzip tatsächlich vornehmen möchte. Insbesondere führt die Praxis der ESTV auch nicht näher aus, was genau unter der «Wahl beim Erwerb des Leistungsangebots» zu verstehen ist. Unter Berücksichtigung des im MWST-Recht bestehenden Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ist diese offene Ausgestaltung der Verwaltungspraxis zu begrüssen.

Kritisch erscheint insbesondere, dass die ESTV – gestützt auf die Praxis, wonach für jede getroffene Wahl die Ortsbestimmung separat vorzunehmen ist – grundsätzlich jede Wahl des Leistungsempfängers als unabhängige, selbstständig zu behandelnde Leistung (im Sinne von Art. 19 Abs. 1 MWSTG) beurteilt bzw. wie eine solche behandelt. Am Beispiel der dreitägigen Weiterbildungsveranstaltung wirft dieses Verständnis mit Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Mehrheit von Leistungen (gemäss Art. 19 MWSTG) zumindest Zweifel auf. Grundsätzlich dürfte es sich bei einer solchen Veranstaltung um eine Gesamtleistung (im Sinne von Art. 19 Abs. 3 MWSTG) handeln. In diesem Fall wäre für die mehrwertsteuerliche Behandlung – und damit auch für die Ortsbestimmung – auf die für die Gesamtleistung wesentliche Eigenschaft abzustellen, also auf den wirtschaftlich im Vordergrund stehenden bzw. massgebenden Ort. Liegt nur eine einzige Leistung vor (die dreitägige Weiterbildungsveranstaltung), kann folglich auch nur ein einziger Leistungsort resultieren – entweder nach dem Empfängerortsprinzip (Art. 8 Abs. 1 MWSTG) oder nach dem Tätigkeitsortsprinzip (Art. 8 Abs. 2 Bst. c MWSTG). Entsprechend dem allgemeinen Charakter der Mehrwertsteuer als Verbrauchssteuer ist diese Beurteilung primär aus Sicht des Verbrauchers und anhand wirtschaftlicher Kriterien vorzunehmen. Entscheidend ist dabei nicht die subjektive Meinung des einzelnen Leistungsempfängers, sondern die allgemeine Verkehrsauffassung der entsprechenden Verbrauchergruppe.

Selbstverständlich ist nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall tatsächlich separate Leistungen mit jeweils eigenständigen Leistungsorten vorliegen. In diese Richtung zielt auch das Beispiel 1 der ESTV ab. So handelt es sich bei einer Teilnahme vor Ort an einer Unterhaltungsshow um eine kulturelle Dienstleistung, für die das Tätigkeitsortsprinzip gilt. Hingegen liegt bei der Teilnahme mittels Onlinestreaming aus Sicht der Mehrwertsteuer keine kulturelle Dienstleistung im eigentlichen Sinne vor, sondern eine elektronische Dienstleistung, für die das Empfängerortsprinzip zur Anwendung gelangt.

Fazit

Mit ihrer publizierten Praxisänderung zur Ortsbestimmung bei hybriden Dienstleistungen folgt die ESTV einem pragmatischen Ansatz, der Gestaltungsspielräume zulässt. Aus praktischer Sicht ist dies zu begrüssen. Eine korrekte Umsetzung der Praxis der ESTV kann jedoch im Falle der erforderlichen Unterscheidung zwischen Tätigkeitsortsprinzip und Empfängerortsprinzip mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Fraglich bleibt zudem, inwiefern die Praxis im Falle einer Gesamtleistung Anwendung findet.

Wir empfehlen Ihnen daher, Ihre hybriden Leistungsangebote im Hinblick auf die am 1. Januar 2025 in Kraft getretene Gesetzesänderung sowie die dazu veröffentlichte Verwaltungspraxis der ESTV sorgfältig zu überprüfen. Im Einzelfall kann es ratsam sein, bei der ESTV eine verbindliche Auskunft einzuholen. Unsere MWST-Beraterinnen und MWST-Berater stehen Ihnen für eine vertiefte Prüfung oder weiterführende Informationen gerne zur Verfügung.

Autor

Nicolas Rüfli
MAS FHNW Nonprofit und Public Management

Lesezeit: 10 Min
15. September 2025