Auswirkungen von COVID-19 auf die MWST

In der vorliegenden ersten Ausgabe des „MWST Zoom“ richten wir unser Augenmerk auf mehrwertsteuer- und zollrelevante Aspekte vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.

VORWORT

Vor 25 Jahren betrat die Schweiz steuerrechtliches Neuland, indem sie in rekordverdächtiger Geschwindigkeit die Mehrwertsteuer (MWST) einführte. Obwohl von der Systematik und Funktionsweise her im Prinzip einfach, blieb die korrekte Umsetzung der MWST im Unternehmen – trotz diverser Anpassungen der rechtlichen Grundlagen und radikaler Vereinfachungen – bis heute kompliziert. Die Gründe hierfür sind bekanntlich vielschichtig. Sehr gerne nehmen wir – liebe Leserinnen, liebe Leser – das kleine Jubiläum zum Anlass, Sie mit aktuellen Informationen zur MWST in Form dieses neu lancierten T+R-Newsletters zu bedienen. Ziel des „MWST Zoom“ ist es, Ihnen Neuerungen und Entwicklungstendenzen, Optimierungschancen und Stolpersteine aus der Optik der MWST-Beratung näherzubringen. Inhaltlich möchten wir primär Praxisfälle, rechtliche und behördliche Änderungen, Urteile aus der Rechtsprechung sowie Umsatzsteuerspezifisches von unseren Netzwerkpartnern im Ausland thematisch aufgreifen und beleuchten.

AUS DER VERWALTUNGSPRAXIS


Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen aus der Corona-Pandemie hat der Bundesrat am 20. März 2020 umfassende Massnahmen beschlossen. Ein Teil dieses Paketes betrifft den Bereich der Steuern und Abgaben:

  • Verzicht auf Verzugszinsen: Gestützt auf die COVID-19-Verzichtsverordnung (vgl. https://www.ad-min.ch/opc/de/classified-compilation/20200842/in-dex.html) wurde unter anderem der befristete Verzicht auf Verzugszinsen erlassen. Der Verzugszins-verzicht (resp. Nullsatz) gilt unter anderem für verspätete Zahlungen der MWST für die Zeit vom 20. März 2020 bis zum 31. Dezember 2020. Der Nullsatz gilt für alle MWST-Forderungen, demnach auch für solche, die vor dem 20. März 2020 entstanden sind.
  • Überbrückungsdarlehen / Vorsteuerkürzung: Die COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung (vgl. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compila-tion/20200869/index.html) ermöglicht es den Unter-nehmen, Überbrückungskredite zur Liquiditätssicherung zu erhalten. Aus mehrwertsteuerlicher Sicht ist nicht auszuschliessen, dass die Nullverzinsung bzw. der Vorzugszins für die Überbrückungskredite für die MWST allenfalls als Subvention qualifiziert und zu einer Vorsteuerkürzung führen könnte. Die Überbrückungskredite wären, sofern sie nicht zurückbezahlt und letztlich durch den Bund finanziert würden, zu-dem grundsätzlich als à fonds perdu Beiträge (Subventionen) zu verstehen und könnten diesfalls u.U. ebenfalls eine Vorsteuerkürzung nach sich ziehen.
  • Kurzarbeitsentschädigungen: Entsprechende Entschädigungen unterliegen nicht der MWST und führen nicht zu einer Vorsteuerkürzung – sie sind gemäss ESTV in der Ziff. 910 der MWST-Abrechnung zu deklarieren.

AUS DER MEHRWERTSTEUERBERATUNG


Unabhängig von den politischen Unterstützungsmass-nahmen lassen sich auch dem MWST-Recht diverse Instrumente entnehmen, die der Liquiditätsentlastung dienen können. Gerne möchten wir Ihnen dazu Folgendes in Erinnerung rufen:

  • Zahlungserleichterungen: Die Fristen für die Steuererhebung sind trotz Verzicht auf Verzugszinsen einzuhalten. So hat der MWST-Pflichtige zwar grundsätzlich innert 60 Tagen nach Ablauf der Abrechnungsperiode die in diesem Zeitraum entstandene Steuerforderung zu begleichen. Via „ESTV SuisseTAX“ oder Website der Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) kann allerdings die Abrechnungs- und Zahlungsfrist derzeit kostenlos und ohne Begründung um drei Monate nach Fälligkeit verlängert wer-den. Ist die Zahlung mit einer erheblichen Härte verbunden, kann die ESTV darüber hinaus Zahlungserleichterungen in Form einer Erstreckung der Zahlungsfrist oder von Ratenzahlungen gewähren. Um in den Genuss von Zahlungserleichterungen zu gelangen, sind somit (weiterhin) begründete Gesuche zu Handen der ESTV erforderlich (vgl. Art. 90 Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer [MWSTG]).
  • Steuererlass: Im Rahmen des MWST-Verfahrens kann die ESTV die rechtskräftig festgesetzte MWST ganz oder teilweise erlassen, wenn gewisse Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Ebenso besteht die Möglichkeit eines Steuererlasses im Bereich der Einfuhrsteuer.
  • Vorsteuerüberhang: Ergibt sich aus der MWST-Abrechnung ein Überschuss zu Gunsten des MWST-Pflichtigen (typischerweise aus einem Vorsteuerüberhang), so wird dieses Guthaben in aller Regel von der ESTV auch ausbezahlt. Erfahrungsgemäss erfolgt die Zahlung seitens ESTV jedoch erst 60 Tage nach Eintreffen der MWST-Abrechnung; dies zwecks Vermeidung eines Vergütungszinses (4 % p.a.), welcher ab dem 61. Tag nach Eintreffen der MWST-Abrechnung bei der ESTV vergütet wird. Für die vorzeitige Rückerstattung von Vorsteuergut-haben bedarf es eines Gesuchs an die ESTV. Ob-wohl sich die ESTV um eine speditive Prüfung und eine rasche Auszahlung der Vorsteuerguthaben bemüht, ist aufgrund der gegenwärtigen Lage offen, ob deklarierte Vorsteuerüberschüsse deutlich vor Ablauf der 60-Tage-Frist ausbezahlt werden. So oder so empfiehlt es sich, das MWST-Guthaben aus einer Abrechnungsperiode so früh wie möglich zu deklarieren. In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen möchten wir deshalb die Möglichkeit der monatlichen MWST-Abrechnung, sofern regelmässig Vorsteuerüberschüsse zu verzeichnen sind.
  • Verlagerungsverfahren: Bei der ESTV registrierte MWST-pflichtige Importeure, die nach der effektiven Methode abrechnen, können die auf der Einfuhr von Gegenständen geschuldete MWST, statt sie der Eidg. Zollverwaltung (EZV) zu entrichten, in der periodischen MWST-Abrechnung mit der ESTV deklarieren und gleichzeitig den Vorsteuerabzug tätigen. Dieses sog. Verlagerungsverfahren kann insbesondere dann bewilligt werden, sofern der MWST-Pflichtige regelmässig Gegenstände ein- und ausführt und sich daraus regelmässig Vorsteuerüberschüsse im Umfang von mehr als CHF 10’000 pro Jahr ergeben. Durch die Verlagerung der Steuerentrichtung kann eine Vorfinanzierung der Einfuhr-steuer vermieden werden.

Die behördlichen Corona-Massnahmen haben zwangsläufig auch Auswirkungen auf bestehende Lieferketten und Dienstleistungsverhältnisse. Aktuell sind deshalb in der Beratungspraxis folgende Themen und damit verbundene MWST-Fragen von Interesse:

  • Temporäre Reduktion des Mietzinses: Sofern ein Vermieter von Geschäftsräumen im Mietvertrag die MWST-Option ausweist, muss er anlässlich der Gewährung einer temporären Mietzinsreduktion darauf achten, hierfür zeitnah auch die korrigierenden MWST-konformen Rechnungen oder Belege mit Bezug auf den Mietvertrag auszustellen, damit die im Mietvertrag auf dem Mietentgelt ausgewiesene Steuer nicht geschuldet bleibt.
  • Entgeltsminderung oder Schadenersatz: Werden vertraglich vereinbarte Leistungen vom Leistungserbringer nicht vollständig, zu spät oder überhaupt nicht erbracht bzw. vom Leistungsempfänger angenommen, so führt dies in der Regel zu einem zusätzlichen Geldzahlungsfluss. Im Zusammenhang mit solchen Entschädigungen ist für MWST-Zwecke immer zu unterscheiden, ob es sich um eine Entgeltminderung (bspw. Preisnachlass aufgrund Schlechterfüllung oder Terminbusse) oder um ein Nicht-Entgelt handelt (bspw. Mängelfolgeschaden oder Verspätungsschaden). Handelt es sich bei der Entschädigung um eine Entgeltsminderung, so haben beide Vertragspartner ihre Umsatz- bzw. Vorsteuerposition entsprechend zu korrigieren. Das Nicht-Entgelt hingegen deklariert nur der Zahlungsempfänger unter Ziff. 910 seiner MWST-Abrechnung.
  • Delkredere und Debitorenverlust: Delkredere sind mehrwertsteuerlich unbeachtlich, auch wenn die Wertberichtigung auf Einzelforderungsbasis vorgenommen wird und nachweislich begründet ist. Erst anlässlich des definitiven Ausfalls der (Rest-)Forderung darf das Unternehmen umsatzsteuerlich eine Entgeltsminderung gegenüber der ESTV geltend machen. Besondere Beachtung ist hierbei dem Um-stand zu schenken, dass die ursprüngliche MWST-Forderung gegebenenfalls auch zu einem späteren Zeitpunkt nochmals vollumfänglich aufleben kann.

AUS DER ZOLLBERATUNG


Anlässlich der Einfuhr von Waren in die Schweiz gibt es Möglichkeiten zur Liquiditätsoptimierung. Hiervon möchten wir punktuell folgende Massnahmen hervor-heben:

  • Zollverfahren der passiven Veredelung: Bei der Wiedereinfuhr von Gegenständen, die zwecks Bearbeitung (z.B. Reparatur) ins Ausland verbracht wurden, wird ohne besondere Massnahmen (und viel-fach mangels geeigneter Nachweise) die Einfuhr-steuer letztlich auf dem vollen Warenwert – und nicht nur dem Wert der Bearbeitung im Ausland – erhoben. Viele Unternehmen mit einem Vorsteuerabzug von 100 % verzichten dabei bewusst auf die Anwendung des Zollverfahrens der passiven Veredelung, weil sie die bei der Einfuhr anfallende Vor-steuer vollumfänglich – allerdings zeitlich nachgelagert – als Vorsteuer zurückfordern können. Erfolgt bereits die Ausfuhr unter dem Regime der passiven Veredelung, reduziert das die bei der Wiedereinfuhr fällig werdende Einfuhrsteuer wesentlich, da sie nur noch auf den effektiven Kosten der im Ausland aus-geführten Arbeiten statt dem vollen Warenwert geschuldet ist. Kann das Veredelungserzeugnis nach Zolltarif oder aufgrund eines Ursprungserzeugnisses nicht generell zollfrei eingeführt werden, so bietet sich das Instrument auch zur Reduktion der Zollabgaben an.
  • Zollverfahren der aktiven Veredelung: Damit der lokal ansässige Auftragnehmer bei Lohnherstellung oder Reparaturen nicht als Importeur der Waren auf-treten und die Einfuhrsteuer vorfinanzieren muss, kann die Einfuhr unter dem Zollregime der aktiven Veredelung erfolgen. Auch hierbei können die Zoll-abgaben reduziert werden, falls das Veredelungserzeugnis nach Zolltarif oder aufgrund eines Ursprungserzeugnisses nicht generell zollfrei eingeführt werden kann.
  • Zentralisiertes Abrechnungsverfahren der Zollverwaltung (ZAZ): Die Eröffnung eines eigenen ZAZ-Kontos bei der EZV steht allen Unternehmen offen. Im Rahmen der Eröffnung ist eine Sicherheit (z.B. Bankbürgschaft) zu hinterlegen. Ansonsten fallen keine Spesen an. Unternehmen mit einem eigenen ZAZ-Konto können sich die bei der Einfuhr fällig werdende Einfuhrsteuer von der EZV direkt auf dieses Konto belasten lassen. Dadurch entfällt einerseits die von Spediteuren/Zollagenten i.d.R. auf dem MWST-Betrag erhobene „Vorlageprovision“, die neben dem MWST-Betrag normalerweise innert 10 Tagen dem Spediteur / Zollagenten zu bezahlen ist. Andererseits beträgt die Zahlungsfrist für die von der EZV ab ZAZ-Konto in Rechnung gestellte Einfuhr-steuer 60 Tage.
  • Verlagerungsverfahren: siehe die Ausführungen im Teil „Aus der Mehrwertsteuerberatung“.
  • Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung: Werden Waren nur für eine temporäre Zeit in die Schweiz eingeführt, kann mit dem Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung erreicht werden, dass bei der Einfuhr keine Einfuhrsteuer zu entrichten ist. Die notwendige Sicherstellung kann im Rahmen eines bestehenden ZAZ-Kontos erfolgen (vgl. oben).
  • Konsignationslager: Ist der im Ausland ansässige Lieferant nicht als mehrwertsteuerpflichtiges Unter-nehmen in der Schweiz registriert, aber bereit, seine Waren in ein inländisches Konsignationslager zu liefern, müsste das empfangende in der Schweiz ansässige Unternehmen den Lagerbestand nicht mehr vorfinanzieren. Dank einer Sonderregel wird in einer solchen Konstellation der ausländische Lieferant unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen in der Schweiz nicht mehrwertsteuerpflichtig. Der Schweizer Abnehmer darf an seiner Stelle als Importeur der – noch nicht gekauften – Waren auftreten und die bei der Einfuhr anfallende Einfuhrsteuer als Vor-steuer in Abzug bringen.
  • EU-Verzollung: Lieferungen aus der Schweiz an Unternehmen in diversen EU-Mitgliedstaaten können mittels des Verfahrens der EU Verzollung ohne Entrichtung der Einfuhrsteuer in die EU eingeführt werden. Voraussetzung ist hierzu u.a., dass die Waren unmittelbar nach der Einfuhr mittels steuerbefreiter innergemeinschaftlicher Lieferung an den Lieferungsempfänger und damit in einen anderen EU-Mitgliedstaat gelangt, wozu sich das Schweizer Unternehmen im Einfuhrstaat für Umsatzsteuerzwecke – allenfalls vereinfacht via Fiskalvertreter – registrieren muss. 

AUS DER RECHTSPRECHUNG


Übertragung eines Teilbetriebes – Bundesgericht bejaht partielle Steuersukzession der Übernehmerin (Ur-teil BGer 2C_923/2018)

Unter dem MWSTG, das bis 2009 in Kraft war, wurde eine Steuersukzession für MWST-Zwecke durch die Übernehmerin nur begründet, wenn sämtliche Aktiven und Passiven eines Unternehmens übertragen wurden. In seinem Urteil vom 21. Februar 2020 hält das Bundesgericht fest, dass neurechtlich, d.h. seit 1. Januar 2010, basierend auf Art. 16 Abs. 2 MWSTG eine partielle Steuernachfolge möglich ist, wenn lediglich ein Teilvermögen übertragen wird. Es ist insbesondere auch nicht (mehr) notwendig, dass der übertragende Unternehmensträger zivilrechtlich untergeht. Damit läutet das Bundesgericht diesbezüglich eine neue Rechtsprechung ein. Im konkreten Fall übertrug ein Unternehmen, das einen Taxi- und Limousinen-Service betrieb, den Taxibetrieb auf eine neue Gesellschaft, wobei Vater und Tochter in der einen oder anderen Form an beiden Gesellschaften beteiligt waren. Über das übertragende Unternehmen wurde rund ein Jahr nach der Übertragung der Konkurs eröffnet und nachdem die ESTV, HA MWST, ihre Forderungen vergeblich beim übertragenden Unternehmen eingefordert hatte, machte sie ihre Forderungen neu gegenüber der übernehmenden Gesellschaft geltend, womit sie vor Bundesgericht durchdrang.

AUS UNSEREM NETZWERK


Unter dem Link  finden Sie ausgewählte länderspezifische Hinweise betreffend COVID-19 aus unserem NEXIA-Netzwerk.

Autoren

Susanne Gantenbein
dipl. Steuerexpertin Fürsprecherin

 

Makedon Jenni
lic.rer.pol. MAS Accounting & Finance

 

Daniel Leuenberger
dipl. Wirtschaftsprüfer Betriebsökonom HWV/FH

 

Fabienne Ryser
MAS FH in MWST CAS FH in Zollrecht

 

Marc Thomet
Treuhänder mit eidg. FA Zollfachmann

 

Lesezeit: 20 Min
2. Juni 2021